Artikel in der SÜDWEST PRESSE vom 24. November 2007
BILDUNG / In Kindergärten
fehlt auch Personal, weil es an der PC-Grundausstattung mangelt
Anträge ins Rathaus tragen
Stadt brüstet sich mit Projekten, aber diese kosten Zeit und
Erzieherinnen.
Eltern fordern mehr Erzieherinnen in den Kindergärten. Der
Personalschlüssel ist in der Tat eng bemessen, aber die vorhandenen Kräfte
erbringen Dienstleistungen, die ihnen Computer abnehmen könnten. Zeit
beanspruchen auch neue Bildungspläne und zahllose Anträge.
CAROLIN STÜWE
Erzieherin Bibiana Brenner im Kindergarten Sudetenweg
müsste eigentlich ihre Dokumentation schreiben. Aber die Kleinsten
brauchen sie auch.
FOTO: MARIA MÜSSIG
Der Personalschlüssel: 1,7 Planstellen pro 25 Kinder bei 30
Wochenstunden Regelöffnungszeit stehen den
Ulmer Kindergärten zur Verfügung. Die würden sogar ausreichen, wenn es auch 1,7
Erzieherinnen wären. In der Praxis wird die 0,7-Stelle aber noch mal verteilt
auf Kinderpflegerinnen und Praktikantinnen, die ihre Sache zwar gut machen, aber
frisch von der Schulbank noch keinen Beobachtungsbericht über die Kinder
schreiben können. Weiteres Personal sind Honorarkräfte und Heilpädagogen, die
jedoch nur stundenweise im Haus sind. "In der restlichen Zeit haben wir die
Kinder", sagt Doris Fuchs, Leiterin des Kindergartens Sudetenweg in Böfingen.
Von ihren 74 Drei- bis Sechsjährigen haben 51 Kinder (68 Prozent) einen
Migrationshintergrund. Sie brauchen unter anderem Sprachförderung und
Integrationshilfe. Bei acht Kindern kommt die sozialpädagogische Familienhilfe
nach Hause, weil zum Teil "Kindeswohlgefährdung" bestehe. Jene Kleinen brauchen
gerade im Kindergarten mehr Zuwendung.
Der Orientierungsplan: Der
neue Bildungsplan der Kindergärten verlangt, dass die Entwicklung der Kinder
genau dokumentiert wird. Die verschiedenen Beobachtungen werden regelmäßig im
Team durchgesprochen. Daran schließt sich jährlich ein Elterngespräch an. Auch
wenn es Zeit kostet, befürwortet Doris Fuchs dieses Gespräch. Es hebe das Image
der Erzieherinnen, und der Austausch werde von den Eltern sehr gerne angenommen.
"Aber wenn einer von uns krank wird, müssen wir alles vertagen."
Eltern: Viel Zeit stecken speziell die Kindergarten-Leiterinnen in die
Überzeugungsarbeit. Eltern müssen überredet werden, sobald ihr Kind eine
Förderung benötigt. Wenn dann wiederum der Kinderarzt ein "normales Verhalten"
feststellt, sei die Hürde doppelt hoch. Andere Eltern würden ihr Kind so sehr
behüten, dass es Konflikte selbst nicht zu lösen braucht und in der Gruppe dann
Probleme bekommt. Oder ein Kind benötigt Sprachförderung, weil es zu Hause nur
in der Babysprache brabbelt.
Die Modellprojekte: Die Stadt Ulm ist stolz auf ihre
Bildungshäuser 3 bis 10, aufs "schulreife Kind" und darauf, dass zunehmend
behinderte Kinder integriert werden. Dafür gibt es zwar zusätzliches Personal,
aber immer nur befristet, nur stundenweise und immer andere Gesichter, erzählt
Doris Fuchs. Je mehr Förder- und Vorzeigeprojekte laufen, umso mehr
Einstellungsgespräche stehen an. Und: Bis ein Antrag bewilligt ist, können sechs
Monate verstreichen. So lange muss der Dreijährige, der bislang nur zwei Sätze
spricht, vom Stamm-Personal gefördert werden. Fuchs: "Meine Kolleginnen können
das Wort ,Projekt nicht mehr hören." Trotz Mehraufwand unterstützt
Stephany Winkler, Kindergartenleiterin in der Lindauer Straße in Wiblingen, mit
Freude das "Bildungshaus 3 bis 10", also die Zusammenarbeit mit der
Regenbogen-Grundschule. Der acht Jahre andauernde Austausch von Kita-Kindern und
Schülern sei für alle fruchtbar. Bloß: Die Schule bekam gleich mehr
Lehrerstunden, der Kindergarten muss jährlich um den Zuschuss
bangen.
Der Verwaltungsaufwand: Anträge, Elternbriefe, die
Beobachtungsberichte, ja selbst die Abrechnung fürs Mittagessen werden von Hand
geschrieben, weil viele der Ulmer Kindergärten, städtische wie kirchliche, noch
keinen PC besitzen. Im Sudetenweg steht zwar ein Computer. Weil aber nur eine
Leitung existiert, ist das Telefon blockiert, solange jemand am PC arbeitet.
Weil dieser ohnehin nicht mit der Stadt vernetzt ist, werden Anträge und
Rechnungen persönlich ins Ulmer Rathaus getragen.
PC-Ausstattung in den Ulmer Kindergärten
Das Problem ist bekannt: Bereits vor einem Jahr war bei der Sitzung des
Jugendhilfeausschusses versprochen worden, dass zur Vereinbarkeit von Familie
und Beruf die 90 Ulmer Kindergärten zu einem virtuellen Bürgerbüro miteinander
vernetzt werden. Zu der Zeit waren 71 Einrichtungen nicht oder nur schlecht
mit PCs ausgestattet, hieß es aus der Abteilung Kindertagesstätten.
Bürgermeisterin Sabine Mayer-Dölle bezeichnete den Standard spontan als
"vorsintflutlich". "Wir können nicht mit Steinzeitinstrumenten eine gute
Kindergartenplanung machen", sagte sie 2006. Heute sind allein von den
25 städtischen Kindergärten 20 immer noch nicht vernetzt.
Erscheinungsdatum: Samstag, 24.11.2007 Quelle:
http://www.suedwest-aktiv.de/
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