Interview in der SÜDWEST PRESSE vom 14. Februar 2008, S. 3
INTERVIEW / Lale Akgün benennt Defizite in der
Deutschen Zuwanderungspolitik
Erklären, wie Zusammenleben aussehen soll
Eine aktive Integrationspolitik - und zwar von
beiden Seiten. Das fordert die SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün.
Die türkischstämmige Politikerin wendet sich gegen Ansätze der
Abgrenzung, wie sie der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip
Erdogan in Köln vorschlug.
GUNTHER HARTWIG
Sitzt für die SPD im Deutschen Bundestag:
Lale Akgün. FOTO: dpa
Lale Akgün wurde 1953 in Istanbul geboren. Sie studierte Medizin,
Völkerkunde und Psychologie an der Philipps-Universität in Marburg.
1987 promovierte sie an der naturwissenschaftlichen Fakultät der
Albertus-Magnus-Universität Köln. Die Diplom-Psychologin und
Psychotherapeutin ist seit 1982 Mitglied der SPD und seit 2002
Abgeordnete des Deutschen Bundestags. Sie ist Mitglied im
Bundestagsausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union
und stellvertretendes Mitglied im Innenausschuss.
Sie waren bei Erdogans Auftritt in der Kölnarena dabei. Was hat Sie
an der Rede des türkischen Ministerpräsidenten besonders überrascht
oder irritiert?
LALE AKGÜN: Ich fand es spannend, dass er sich so deutlich
zur Integrationspolitik geäußert hat. Erdogan hat ja auch gesagt:
Lernt Deutsch und kommt in Eurem Beruf in gute Positionen.
Das fand ich gut. Nicht einverstanden war ich mit dem Satz:
Wer als Türke geboren ist, bleibt Türke, egal, wo er lebt.
Hat Erdogan also ein anderes Verständnis von Integration als Sie?
AKGÜN: Ja. Er setzt sich für eine Minderheitenpolitik ein,
während ich für individuelle Rechte bin. Wir haben in Deutschland
für bestimmte Bevölkerungsgruppen - für Dänen, Friesen und Sorben -
grundgesetzlich garantierte Minderheitenrechte. Diese Sonderrechte
kommen für die Türken nicht in Frage.
Erdogan hat sich scharf gegen jede Form von Assimilation gewandt
und die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland aufgefordert,
ihre kulturelle Identität nicht aufzugeben. Hat sie das nicht gestört?
AKGÜN: Bei uns gibt es keinen Assimilationsdruck. Wer sich
assimilieren will, soll das tun. Aber ansonsten gilt: So lange sich
Migranten an unsere Gesetze halten, die deutsche Sprache lernen und
loyal zum Staat stehen, ist das in Ordnung.
Die CSU-Generalsekretärin verlangt, den Integrationsdruck auf
Zuwanderer zu erhöhen. Ist das die richtige Antwort auf Erdogan?
AKGÜN: Sicher nicht, das ist kontraproduktiv. Erdogan hat in
Köln großen Applaus bekommen, als er sagte: Ich bin für Euch da,
ich kümmere mich um Euch. Diese Art vereinnahmender Symbolpolitik
ist bei seinen Zuhörern gut angekommen. Daraus müssen wir lernen.
Wir müssen die Lücke selbst füllen, in die Erdogan mit seiner Kölner
Rede gesprungen ist. Wir müssen den Menschen deutlich machen, dass
sie zu uns gehören und ein Teil der Bevölkerung dieses Landes sind.
Angela Merkel hat das schon getan. Sie hat gesagt: Ich bin auch die
Bundeskanzlerin der Türken in Deutschland.
War das ein richtiges Signal?
AKGÜN: Mich hat gefreut, was die Kanzlerin gesagt hat.
Es kam spät, aber nicht zu spät. Ich erinnere mich sehr gut an das
Wort des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau am 23. Mai 1999:
"Ich will Präsident aller Deutschen und aller Mitbürger ohne
deutschen Pass sein." Darüber hat sich die Union sehr erregt.
Heute sieht sie das hoffentlich anders. Die CDU hat sich ja lange
damit schwer getan, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.
Was halten Sie von Erdogans Forderung, türkische Schulen mit
türkischen Lehrern in Deutschland einzurichten?
AKGÜN: Ich will keine türkischen Schulen mit türkischen Lehrern für
türkische Kinder in Deutschland. Das wäre keine Integration,
sondern Abgrenzung oder Abschottung. Muttersprachlicher Unterricht
für Zuwandererkinder ist gut, aber er sollte an deutschen
Schulen stattfinden. Ein doppeltes Bildungssystem lehne ich ab.
Es würde die Bildungsmisere bei der breiten Masse türkischer
Kinder nicht lösen.
Welche politischen Impulse für die Integration erhoffen Sie sich
denn von der gegenwärtigen Debatte?
AKGÜN: Ich bin Erdogan fast dankbar, dass er uns den Spiegel
vorgehalten und uns auf Defizite bei der Integration aufmerksam gemacht hat.
Wir brauchen eine aktive Zugehörigkeitspolitik von beiden Seiten,
von der deutschen Mehrheit und der türkischstämmigen Minderheit.
Die Politik hat es bisher versäumt, genau zu erklären, wie das
Zusammenleben im gemeinsamen Haus Deutschland aussehen soll.
Wir können von den Amerikanern lernen. Dort bekennen sich die
Bürger bei aller Unterschiedlichkeit der Herkunft, Kultur und
Religion zu ihrem Staat und sagen: Das ist unser Land, unsere Heimat,
unsere gemeinsame Idee.
Aber gibt es nicht gerade auch in Ihrer Heimatstadt Köln einige
Stadtviertel, die eine eigene, abgeschlossene Welt bilden ohne den
erkennbaren Willen der Menschen zur Integration?
AKGÜN: Stadtteile sortieren sich nicht nach ethnischer Herkunft,
sondern nach sozialen Merkmalen, nach Arm und Reich. Da steht die
Frage im Vordergrund: Welche Wohnung können sich Zugewanderte leisten?
Dann kommt eben eine Quote von bis zu 50 Prozent Wohnbevölkerung mit
Migrationshintergrund zustande. Wir sollten aber soziale Fragen nicht
ethnisieren.
Erscheinungsdatum: Donnerstag, 14.02.2008 Quelle:
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