Artikel in der SÜDWEST PRESSE vom 24. April 2006, S. 20
FOLKLORE / Derwische aus Konya im gut besuchten Edwin-Scharff-Haus
Eine Botschaft für alle Länder
Die spirituellen Tänze werben für Toleranz zwischen den Religionen
Als Vermittler
zwischen Himmel und Erde sehen sich die Mevlana-Derwische aus der
türkischen Stadt Konya. Ihre Botschaft von Toleranz und Liebe soll alle
Länder erreichen. Das Publikum im nahezu ausverkauften Neu-Ulmer
Edwin-Scharff-Haus zeigte sich begeistert.
YASEMIN GÜRTANYEL

Die Einheit mit der Schöpfung streben die
Derwische in ihrem Tanz an.
FOTO: MATTHIAS KESSLER
In lange,
schwarze Gewänder gehüllt knien die vier Derwische des Mevlana-Ordens aus
der türkischen Stadt Konya auf der Bühne des Edwin-Scharff-Hauses. Der
melancholische Klang der Ney-Flöte bereitet auf den folgenden,
spirituellen Tanz vor. Dann setzen die übrigen fünf Mevlana-Musiker ein:
an den Percussions, der Kurzhalslaute (Oud) und dem Hackbrett
(Kanun). Die Derwische erheben sich, werfen ihre schwarzen
Umhänge ab, unter denen sie die traditionellen weißen Tanzgewänder tragen.
Langsam beginnt sich der erste um seine eigene Achse zu drehen, seine Arme
breitet er über dem Kopf aus. Einer nach dem anderen fällt ein, bis alle
vier über die Bühne gleiten.
"Mit
unserem Tanz symbolisieren wir die Bewegung der Planeten um die Sonne",
sagt Salahaddin Özsahin, einer der Derwische. "Unsere rechte Hand öffnen
wir nach oben zum Himmel, unsere linke Hand zur Erde." Auf diese Weise
verstehen sich die Mevlana als Vermittler göttlicher Energie.
"Der Tanz hat eine reinigende Wirkung, er bringt uns näher
zu Gott", sagt Özsahin. Ziel ist, alles Irdische von sich zu lassen, am
Ende eins mit Gott und der Schöpfung zu werden. Das drückt sich auch in
der Kleidung der Mevlana aus: "Das weiße Gewand symbolisiert ein
Leichentuch, unsere Filzhüte den Grabstein", erklärt Özsahin. "Indem wir
den schwarzen Umhang ablegen, werfen wir alles Irdische von uns."
Intensiver Gesang Der Takt der
Percussions auf der Bühne wird schneller, eindringlicher Gesang kommt
hinzu. Immer schneller wirbeln die Derwische um die eigene Achse, ihr
weißes Gewand bauscht sich wie eine Glocke um ihren Körper. "Unser linker
Fuß bleibt stehen, nur mit dem rechten vollführen wir die Drehbewegung",
erklärt Özsahin. Das habe ebenfalls symbolische Bedeutung. "Der linke Fuß
ist unsere Religion, er bleibt unverrückbar stehen. Mit dem rechten
bewegen wir uns und tragen unsere Botschaft in alle
Länder." Diese Botschaft beinhalte vor allem zwei Dinge:
Toleranz und Liebe. Im 13. Jahrhundert gründete der islamische Mystiker
Dschalaladdin Rumi den Mevlana-Orden im mittelanatolischen Konya, das
damals zum Seldschuken-Reich gehörte. "Dort lebten Christen, Juden und
Muslime. Angehörige jeder dieser Religionen waren bei Rumis Begräbnis
anwesend", erzählt Özsahin. Aus der fließenden Drehbewegung
des Tanzes bleiben die Derwische immer wieder abrupt stehen, falten die
Hände vor der Brust. Zum Gruß verbeugen sie sich symbolisch vor Rumi. Dann
setzen sie ihre Drehbewegung fort. "Wir sprechen nicht von ,Tanz, sondern
verwenden die Bezeichnung ,sema", sagt Özsahin und erzählt vom Ursprung
desselben. Rumi sei eines Tages über den Markt gelaufen, als ein Schmied
gerade ein Stück Gold bearbeitet hat. Das Geräusch habe Rumi inspiriert,
sich um die eigene Achse zu drehen. "Daraus hat sich dann im Laufe der
Zeit der Sema immer weiter entwickelt." Mevlana-Klöster gibt
es in der Türkei allerdings keine mehr. Für Özsahin hat die spirituelle
Philosophie zwar durchaus Bedeutung für sein tägliches Leben, in erster
Linie sieht er sich aber als kultureller Botschafter: "Ich bin stolz,
meine Heimatstadt Konya zu vertreten", sagt er. Die Gruppe war zuvor in
Paris, New York und London, nach dem Neu-Ulmer Auftritt kehrt sie zurück
nach Konya. Das Publikum im nahezu ausverkauften Edwin-Scharff-Haus
bedankte sich mit begeistertem Applaus.
Erscheinungsdatum: Montag 24.04.2006 Quelle:
http://www.suedwest-aktiv.de/
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