Kommentar in der SÜDWEST PRESSE vom 4. September 2007, S. 17

Lehren aus der Lehrstellenmisere

Hans-Uli Thierer

Alle Jahre wieder das selbe Trauerspiel: Spät im Sommer, wenn das Lehrjahr beginnt, runzeln Politiker bedenkenträgerisch die Stirn und erheben schulmeisterlich den Zeigefinger, um zu mahnen, dass Wirtschaft und Staat ihrer Ausbildungspflicht nachkommen. Reflexhaft reagieren darauf Kammern und andere Lobby-Verbände der Industrie, des Handels, des Handwerks. Sie warten ebenfalls alle Jahre mit Zahlen auf, die uns mehr Lehrstellen verheißen.

Dies führt zu der arithmetisch kaum zu beantwortenden Frage, warum sich die Schere zwischen Nachfrage und Angebot nicht längst geschlossen hat, wenn die Nachfrage stagniert und das Angebot steigt. Die Antwort liefern bittere Wahrheiten. Eine ist: Der Wirtschaftsaufschwung erreicht den Lehrstellenmarkt nur unzureichend. Die andere: Für einen Teil junger Menschen wird es immer schwieriger, Lehrstellen zu finden, da die Berufswelt kaum noch schlichte Arbeit kennt.

Die Hauptbetroffenen sind Schüler aus städtischen Hauptschulen, die aus Milieus kommen, die die Soziologen mit Begriffen belegen wie Migrantenhintergrund, Bildungsferne, Einkommensschwäche. Die Lehre aus dieser Erkenntnis? Weder Gesundbeterei noch Erbsenzählerei noch Statistikschönfärberei helfen. Was Not tut sind Anstrengungen zur Integration und Instrumente gegen Bildungsschwächen, wie sie in guten Ansätzen in der Ulmer Bildungsoffensive zu erkennen sind.